Wir werden uns wiedersehen...

 

An diesem Morgen ist es ziemlich kühl.

Der Himmel ist von einem so tiefen Blau, dass man meint, darin eintauchen zu können.

Viele Wolken ziehen vorüber, die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass es regnen wird.

Der seichte Wind streicht über das Gras und wirbelt vereinzelt Blätter und Blüten auf, die auf dem Boden liegen.

Wenn die Sonne sich mal zeigt, wärmt sie etwas, doch ich spüre sie kaum.

In meinem Innersten ist es so kalt wie Eis.

Es ist einfach ein zu krasser Gegensatz zu der Schönheit der Natur um mich herum, hier auf dem Friedhof.

Die Grabsteine in ordentlicher Reihe, liebevoll geschmückt mit Blumen. Hier ein Kreuz, da eine Kerze auf einer Marmorplatte auf dem Boden.

Die Vögel zwitschern aufgeregt durcheinander und ich wünsche mir im Augenblick nichts sehnlicher, als einer von ihnen zu sein. Einfach davon fliegen...

Stattdessen stehe ich hier, meine Beine schwer wie Blei, doch zugleich auch so weich wie Pudding.

Die ganze Zeit höre ich ein Schluchtzen hier, ein Räuspern da.

Ich zwinge mich, nach unten zu schauen. In dieses Erdloch, das die Trauergäste nach und nach mit Blumen füllen.

Bald würde ich an der Reihe sein.

Ich will nicht. Ich will nicht, das es wahr ist. Ich will aufwachen, über diesen furchtbaren Traum den Kopf schütteln und ihn dir erzählen.

Aber natürlich weckt mich niemand, denn ich träume nicht.

Du bist tot.

Und ich frage mich seit dem Tag, an dem deine Schwester, halb verrückt vor Kummer, anrief, ob ich es hätte verhindern können.

Ob ich dich hätte retten können. Wolltest du gerettet werden?

Ich glaube, nein, ganz tief in mir weis ich, du wolltest gar nicht gerettet werden.

Ich hab es gespürt. An jedem Tag, an dem ich dich sah, ein bisschen mehr. Deine Traurigkeit, deine Leere, deine Sehnsucht nach dem Nichts.

Dabei warst du der Sonnenschein für so viele Menschen. Hast sie zum Strahlen gebracht.

Nur dich konnte nichts mehr dazu bringen, zu strahlen. Nicht mal mehr ich.

Jetzt bin ich an der Reihe.

Wie in Trance gehe ich langsam auf das Grab zu und lege meinen kleinen Blumenstrauß neben die Urne.

Lebe wohl mein lieber, bester Freund.

Wir werden uns wiedersehen. Irgendwann an einem anderen, an einem besseren Ort.

Ich hoffe so sehr, dass deine Seele endlich Frieden gefunden hat und du glücklich bist. Ich werde dich niemals vergessen.

Wie sollte ich auch. Du hast einen so großen Platz in meinem Herzen eingenommen, dass ich nicht weis, wie ich ohne dich klar kommen soll.

Ohne dein Lachen, deine Wärme, deinen Humor.

Aber das Leben geht weiter für mich. Es muss weiter gehen.

Lebe wohl, mein Freund.

Ich werde dich niemals vergessen.

Nie.

Ich drehe mich um und atme tief ein.

Seit unserem letzten Treffen habe ich deine Stimme in meinem Kopf.

Die letzten Worte, die du zu mir gesagt hast.

Du hast mich mit deinem bezaubernd schiefen Lächeln angesehen, mit deinen wunderschönen braunen Augen, in denen so viel Schmerz lag, und hast mich leicht an dich gedrückt.

"Wir werden uns wiedersehen", hast du mir zugeflüstert und bist gegangen.

Zitternd atme ich aus.

Jetzt endlich erlaube ich mir, um dich zu weinen.

 

 

 


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